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In jüngerer Zeit kursieren einige Schriften, die Aglianico als ursprünglich italienische Rebsorte beschreiben. Die Mehrheit der anerkannten Fachliteratur hält jedoch am griechischen Ursprung fest – aus gutem Grund. Ich möchte erläutern, warum diese These nach wie vor am plausibelsten ist.
Ampelograf Pierre Galet und zuletzt auch José Vouillamoz wiesen darauf hin, dass wir bei Aglianico, wie bei vielen alten Rebsorten, letztlich nur spekulieren können. Vouillamoz schlussfolgert, Aglianico sei wahrscheinlich eine alte Traube Süditaliens. Doch das allein beweist keineswegs, dass die Sorte auch italienischen Ursprungs ist. Hier lohnt sich ein genauerer Blick: Süditalien war über Jahrhunderte Teil der griechischen Welt – ebenso selbstverständlich wie Athen oder Sparta. Die Römer kamen erst später als Eroberer. Nach dem Fall Roms kehrten viele griechische Einflüsse in die Region zurück. Wer also heute von „süditalienischer Herkunft“ spricht, muss berücksichtigen, dass die Region lange hellenisch geprägt war.
Hinzu kommt: In der Forschung wird oft voreilig behauptet, dass Aglianico keine genetische Verbindung zu bekannten griechischen Sorten habe. Doch daraus zu schließen, die Sorte sei deshalb nicht griechischer Herkunft, ist wissenschaftlich betrachtet Unsinn. Es gibt schlicht keine Möglichkeit, nach über 2.500 Jahren eine vollständige genetische Brücke zu alten, möglicherweise längst ausgestorbenen Sorten zu schlagen – weder bei Aglianico noch bei bekannten Trauben weltweit und anderen griechischen wie Assyrtiko oder Robola. Die meisten Rebsorten jener Zeit sind unwiederbringlich verloren gegangen.
Warum sollte es also ausgerechnet bei Aglianico anders sein?
Selbst wenn moderne DNA-Analysen keine direkte Verwandtschaft nachweisen können, bleibt eine historische Tatsache: Die Gegend, in der Aglianico entstand, war Teil der antiken griechischen Kolonien. Und damit ist die kulturelle Herkunft eindeutig hellenisch. Ein weiterer Hinweis: der Name. Aglianico klingt nicht zufällig wie eine Abwandlung von Ellanico – „hellenisch“. Die Theorie, dass spanische Besatzer den Namen erst im 15. Jahrhundert prägten, obwohl die Rebsorte nachweislich schon rund 2.000 Jahre zuvor existierte, wirkt reichlich konstruiert. Es erscheint völlig unlogisch, dass eine so bedeutende Rebsorte zwei Jahrtausende lang namenlos geblieben sein sollte, nur um dann plötzlich von einer kurzen spanischen Besatzung "getauft" zu werden. Diese Vorstellung entbehrt jeder Vernunft.
Selbst wenn man die sprachliche Entwicklung skeptisch betrachtet, bleibt der stärkste Punkt: Aglianico ist eine Rebsorte, die ihren Ursprung entweder in Griechenland selbst oder im von Griechen kolonisierten Süditalien hat. In beiden Fällen waren es die Griechen, die die Sorte entdeckten, kultivierten und prägten. Noch absurder wird es bei der Diskussion um die Begriffe „hellenisch“ und „griechisch“. Manche behaupten, „hellenisch“ sei erst während der Renaissance geprägt worden – ein historischer Irrtum. Das Wort „hellenisch“ existierte bereits in der Antike und wurde auch verwendet, wenngleich seltener, oft aus religiösen Gründen gemieden. Wer es genau wissen will, braucht nur ins Markus-Evangelium zu schauen, wo der Begriff schon auftaucht – weit vor der Renaissance. Dass römische Autoren vorzugsweise „griechisch“ sagten, liegt eher an politischen und kulturellen Feindseligkeiten gegenüber den Hellenen, nicht an einem Fehlen des Begriffs. Die Behauptung, das Wort „hellenisch“ habe im Altertum nicht existiert, ist eine grobe und fehlerhafte Vereinfachung – wenn nicht sogar eine bewusste Verdrehung der Geschichte.
Unterm Strich zeigen all diese Versuche, Aglianico einen rein italienischen Ursprung zuzuschreiben, eines sehr deutlich: Sie wirken fast schon ideologisch aufgeladen, teilweise nationalistisch – und dabei vergessen sie, dass wir hier über eine Pflanze sprechen, die sich nicht im Geringsten für menschgemachte Grenzen interessiert. Diese Theorien sind spekulativ, konstruiert und blenden zentrale historische Fakten aus. Sicher ist hingegen: Aglianico ist eine antike Rebsorte, die von griechischen Siedlern in den damals griechisch geprägten Süden Italiens gebracht und kultiviert wurde. Ob aus dem klassischen Griechenland selbst oder als Entdeckung in den Kolonien – die Wurzeln dieser Rebe liegen unzweifelhaft in der hellenischen Welt. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Pflanzen haben mit Nationalstolz nichts am Hut. - Würden sie sprechen können, würden sie uns bestimmt auch mitteilen; "Geh' mir damit vom Acker" ;-).